Ich war bereits
etwas über ein Jahr an der Dialyse und die Vereinbarkeit von
Schule, Internatsleben und Dialyse wurde immer schwieriger. Zudem führen lange Wartezeiten bei Kindern häufig zu Entwicklungsverzögerungen. Für
meine Eltern und Geschwister stand außer Frage, dass sie mir eine
Niere spenden wollen. So wurden sie alle getestet. Damals war es noch
nicht möglich blutgruppeninkompatibel zu spenden, sodass meine
Schwester und mein Vater nicht in Frage kamen. Aufgrund meiner
Unterbringung im Internat war ich während der Schulzeit in Marburg
und in den Ferien in Münster an der Kinderdialyse. Marburg meinte,
dass meine Mutter aufgrund ihres Bluthochdrucks als Spenderin nicht
in Frage käme, wohingegen Münster sofort meinte: „Quatsch, den
stellen wir ein und dann geht das.“ Das hört man in der Situation
natürlich als Elternteil gern. Man will schließlich, dass das Kind
so normal und gesund wie möglich leben kann. Also stand fest: in den
Sommerferien wird transplantiert. Ein Kinderchirurg fragte mich noch,
was ich denn mache, wenn die Niere eines Tages nicht mehr
funktioniert. Mein 13-jähriges Ich antwortete: „Sie hat ja noch
eine Niere!“.
Ich machte mir zu
keiner Zeit irgendwelche Gedanken, dass es nicht klappen könne oder
dass meiner Mama etwas passieren könnte. Erst später konnte ich
nachvollziehen, dass der 24. Juli 2001 wahrscheinlich einer der schlimmsten Tage im Leben meines Vaters war. Während ich fröhlich mit den
Sozialarbeitern der Kinderdialyse Münster noch Uno spielte und meistens gewann, stand er
im Zimmer und wusste, dass gleich meine Mama in den OP kommt und
darauf „tatina sura“ (Papas Mädchen). Vielleicht hatte ich auch
die Ruhe weg, weil meine Mama und ich uns im Vorfeld noch kleine
Kuschelbären gekauft haben, die gleich aussahen und die die ganze
Zeit auf dem Nachttisch im Krankenhaus verbrachten als Glücksbringer.
Aber das ist nur eine Vermutung. Ich habe den Bären noch, wie ihr
dem beigefügten Foto rechts entnehmen könnt. Von der Kinderdialyse selbst gab es einen Löwen als Kuscheltier. Auch diesen habe ich noch. Der ist allerdings nicht so fotogen ;) Da ich mein Lieblingskuscheltier von zu Hause nicht mitbringen durfte (es war schon sehr alt und dreckig) schenkten mir meine Geschwister einen Bären als Kuscheltier. Ja, auf Kinderstationen wimmelt es von jeglichem Getier.
Sowohl bei der 1.
als auch bei der 2. Transplantation war mein Papa da, als ich auf die Intensiv zurück kam. Dort verbrachte ich damals
lediglich 3 Tage. Bereits am 3. Tag wurde ich meinen Blasenkatheter
los und es hieß: trinken, trinken, trinken! Meine Mutter lag ganz in
der Nähe und kam mich auch gleich am Tag nach der OP mit allerlei
Schläuchen besuchen. Erst vor kurzem zeigte sie mir wo sie und ich
lagen. Da hat sie wirklich einen langen Weg auf sich genommen. Danach
ging es für mich auf die Kinderstation in die Türme. Dort lag ich
in Quarantäne. Alle durften nur mit Mundschutz und Kittel rein und
ich durfte nur nachts auf der Station rumlaufen, wenn alle anderen
Kinder schliefen und die Nachtschwester etwas Zeit hatte. Wir
spielten dann häufig Uno. Meine Mutter wurde nach 5 Tagen entlassen.
Kurze Zeit später musste sie nochmal kurz vorbeischauen, da sie die
Warnungen der Ärzte nicht ernst nahm und flefißig wie sie ist, mal
wieder staubsaugen wollte. Das war noch etwas zu viel Anstrengung.
Nach insgesamt 2,5 Wochen ging es auch für mich nach Hause. Nun hieß
es noch ungefähr 2 Monate schulfrei (bis etwa nach den Herbstferien)
und Mundschutz tragen. Danach ging es leider mit 3 Monate lang
wöchentlichen Harnwegsinfekten weiter, aber das war alles erstmal
nichts im Gegensatz zur Dialyse.
Es war das schönste
Geschenk was meine Mutter mir machen konnte. Ich konnte endlich
wieder leben wie alle anderen auch. Kein Extraessen mehr in der
Schule, kein Extrawasser für mich in der WG, keine verpassten
Nachmittagsstunden mehr wegen Dialyse und der Notenschnitt fiel in
den Keller. Während ich die Dialysezeit vor allem für Hausaufgaben
und zum Lernen nutzte, hatte ich nun viel mehr Zeit für so tolle
Dinge wie Freunden, Chorproben, Jungs,
Theater AG, usw. Ich war auf einmal ein ganz normales Mädchen mit
Wünschen wie jedes andere Mädel auch. Außerdem war das Verhältnis
zu meiner Mutter dadurch in keiner Weise gestört oder irgendetwas.
Ich glaube sogar im Gegenteil. Sie sah ein, dass es eine Spende ist
und vertraute mir mit diesem wertvollen Geschenk schon gut umzugehen.
Zumal es in der Klinik damals nur hieß: „Nun kannst du wieder
alles machen!“, weshalb ich auch schon 3 Monate nach der
Transplantation wieder am Reitunterricht teilnahm und im Stall Hufe
auskratzte, wie alle anderen eben auch.
Ohne diese Niere
wäre ich jetzt nicht da wo ich jetzt bin. Es wäre noch schwieriger
gewesen mein Abitur zu schaffen. Ich sehe es daran, wenn ich mich mit
anderen unterhalte, die im Schulalter erkrankten. Viele haben
Probleme einen Schulabschluss zu erhalten. Danach dasselbe mit der
Ausbildung. Ich habe es geschafft. Aber vielleicht auch nur, weil ich
auf der Carl-Strehl-Schule der Blindenstudienanstalt Marburg war.
Eine Regelschule, hätte vielleicht nicht häuftiger mal Rücksicht
genommen. Nach meinem Abitur hatte ich die Möglihckeit noch eine
Ausbildung zur Fremdsprachenassistentin zu machen. Nach einem halben
Jahr ohne Job ging es für mich an die Hochschule Heilbronn. Dort
habe ich Tourismusmanagement studiert und erfolgreich abgeschlossen.
Nebenbei kam das Leben nie zu kurz. Ich reise gerne, bin viel unter
Leuten und damals auch noch in dem Alter wo ich Festivals mit campen
total toll fand. Heute bin ich eher derjenige, der sich in der Nähe
vom Festivalgelände ein Zimmer bucht. Bin zu alt ;)
Ein besonderer Tag
war und ist immer noch der 24. Juli dabei. An dem Tag habe ich jedes
mal etwas besonderes gemacht. Entweder mit der Familie chic essen
gegangen, mit Freunden Party gemacht oder einmal, 2010, wollte ich
auch zur Loveparade. Gott sei Dank hat meine Freundin verschlafen und
konnte nicht mehr rechtzeitig aus Hannover anreisen, sodass ich
stattdessen an meinem 9. Geburtstag mit der Familie Eis essen ging.
Für mein 3. Geburtstag plane ich auch bereits grob. Am 11. Januar,
dem Todesdatum meiner Spenderin, werde wohl auch ich eine Kerze in
Gedenken an sie anzünden. Mein Vater hat bereits kurz nach der
Transplantation in der Kirche den Pastor darum gebeten, sie in die
Gebete für die Verstorbenen der Gemeinde mit aufzunehmen, was
natürlich gemacht wurde. Am 12. Januar werde ich dann wohl mit den
letzten Vorbereitungen für meinen Geburtstag zugange sein. Am 5.
Januar werde ich 30 und am 12. Januar wird meine 3. Niere ein Jahr
alt. Wenn das mal kein Grund ist zu feiern. Diesen Geburtstag habe
ich dann sowohl meiner Mutter als auch der unbekannten Spenderin zu
verdanken. Wer weiß, ob ich es ohne die Spende meiner Mutter noch
lange geschafft hätte.
Danke Mama, dass du
mir mein Leben erneut geschenkt hast. Ich weiß, dass du und Papa es
jederzeit wieder tun würdet, wenn es ginge, auch wenn ihr euch auch
negative Erfahrungen mit dem Thema Lebendspende angehört habt. Ich
habe die beste Familie im Rücken, die ich mir nur wünschen kann.
Danke, dass ich mich immer auf euch verlassen kann und ihr immer für
mich da seid. Euch muss man einfach lieb haben.
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