Montag, 24. Juli 2017

Sweet 16 – eine neue Niere ist wie ein neues Leben!

Heute am 24. Juli 2017 feiere ich meinen 16. Geburtstag. Da ich schon 29 bin, könnt ihr euch denken, dass es sich dabei nicht um einen normalen Geburtstag handelt. Es handelt sich um den so genannten „2. Geburtstag“. Viele Transplantierte zünden an ihrem „2. Geburtstag“ eine Kerze für den verstorbenen Spender an. Meine Spenderin lebt noch und erfreut sich bester Gesundheit. Woher ich das weiß? Am 24. Juli 2001 erhielt ich eine Niere meiner Mutter. Zuvor werden natürlich auch beim Empfänger einige Tests gemacht und geschaut, ob er überhaupt fit genug ist für eine Transplantation. Erst wenn das der Fall ist, kommt man überhaupt auf „die“ Warteliste von Eurotransplant.

Ich war bereits etwas über ein Jahr an der Dialyse und die Vereinbarkeit von Schule, Internatsleben und Dialyse wurde immer schwieriger. Zudem führen lange Wartezeiten bei Kindern häufig zu Entwicklungsverzögerungen. Für meine Eltern und Geschwister stand außer Frage, dass sie mir eine Niere spenden wollen. So wurden sie alle getestet. Damals war es noch nicht möglich blutgruppeninkompatibel zu spenden, sodass meine Schwester und mein Vater nicht in Frage kamen. Aufgrund meiner Unterbringung im Internat war ich während der Schulzeit in Marburg und in den Ferien in Münster an der Kinderdialyse. Marburg meinte, dass meine Mutter aufgrund ihres Bluthochdrucks als Spenderin nicht in Frage käme, wohingegen Münster sofort meinte: „Quatsch, den stellen wir ein und dann geht das.“ Das hört man in der Situation natürlich als Elternteil gern. Man will schließlich, dass das Kind so normal und gesund wie möglich leben kann. Also stand fest: in den Sommerferien wird transplantiert. Ein Kinderchirurg fragte mich noch, was ich denn mache, wenn die Niere eines Tages nicht mehr funktioniert. Mein 13-jähriges Ich antwortete: „Sie hat ja noch eine Niere!“.

Ich machte mir zu keiner Zeit irgendwelche Gedanken, dass es nicht klappen könne oder dass meiner Mama etwas passieren könnte. Erst später konnte ich nachvollziehen, dass der 24. Juli 2001 wahrscheinlich einer der schlimmsten Tage im Leben meines Vaters war. Während ich fröhlich mit den Sozialarbeitern der Kinderdialyse Münster noch Uno spielte und meistens gewann, stand er im Zimmer und wusste, dass gleich meine Mama in den OP kommt und darauf „tatina sura“ (Papas Mädchen). Vielleicht hatte ich auch die Ruhe weg, weil meine Mama und ich uns im Vorfeld noch kleine Kuschelbären gekauft haben, die gleich aussahen und die die ganze Zeit auf dem Nachttisch im Krankenhaus verbrachten als Glücksbringer. Aber das ist nur eine Vermutung. Ich habe den Bären noch, wie ihr dem beigefügten Foto rechts entnehmen könnt. Von der Kinderdialyse selbst gab es einen Löwen als Kuscheltier. Auch diesen habe ich noch. Der ist allerdings nicht so fotogen ;) Da ich mein Lieblingskuscheltier von zu Hause nicht mitbringen durfte (es war schon sehr alt und dreckig) schenkten mir meine Geschwister einen Bären als Kuscheltier. Ja, auf Kinderstationen wimmelt es von jeglichem Getier. 


Sowohl bei der 1. als auch bei der 2. Transplantation war mein Papa da, als ich auf die Intensiv zurück kam. Dort verbrachte ich damals lediglich 3 Tage. Bereits am 3. Tag wurde ich meinen Blasenkatheter los und es hieß: trinken, trinken, trinken! Meine Mutter lag ganz in der Nähe und kam mich auch gleich am Tag nach der OP mit allerlei Schläuchen besuchen. Erst vor kurzem zeigte sie mir wo sie und ich lagen. Da hat sie wirklich einen langen Weg auf sich genommen. Danach ging es für mich auf die Kinderstation in die Türme. Dort lag ich in Quarantäne. Alle durften nur mit Mundschutz und Kittel rein und ich durfte nur nachts auf der Station rumlaufen, wenn alle anderen Kinder schliefen und die Nachtschwester etwas Zeit hatte. Wir spielten dann häufig Uno. Meine Mutter wurde nach 5 Tagen entlassen. Kurze Zeit später musste sie nochmal kurz vorbeischauen, da sie die Warnungen der Ärzte nicht ernst nahm und flefißig wie sie ist, mal wieder staubsaugen wollte. Das war noch etwas zu viel Anstrengung. Nach insgesamt 2,5 Wochen ging es auch für mich nach Hause. Nun hieß es noch ungefähr 2 Monate schulfrei (bis etwa nach den Herbstferien) und Mundschutz tragen. Danach ging es leider mit 3 Monate lang wöchentlichen Harnwegsinfekten weiter, aber das war alles erstmal nichts im Gegensatz zur Dialyse.

Es war das schönste Geschenk was meine Mutter mir machen konnte. Ich konnte endlich wieder leben wie alle anderen auch. Kein Extraessen mehr in der Schule, kein Extrawasser für mich in der WG, keine verpassten Nachmittagsstunden mehr wegen Dialyse und der Notenschnitt fiel in den Keller. Während ich die Dialysezeit vor allem für Hausaufgaben und zum Lernen nutzte, hatte ich nun viel mehr Zeit für so tolle Dinge wie Freunden, Chorproben, Jungs, Theater AG, usw. Ich war auf einmal ein ganz normales Mädchen mit Wünschen wie jedes andere Mädel auch. Außerdem war das Verhältnis zu meiner Mutter dadurch in keiner Weise gestört oder irgendetwas. Ich glaube sogar im Gegenteil. Sie sah ein, dass es eine Spende ist und vertraute mir mit diesem wertvollen Geschenk schon gut umzugehen. Zumal es in der Klinik damals nur hieß: „Nun kannst du wieder alles machen!“, weshalb ich auch schon 3 Monate nach der Transplantation wieder am Reitunterricht teilnahm und im Stall Hufe auskratzte, wie alle anderen eben auch.

Ohne diese Niere wäre ich jetzt nicht da wo ich jetzt bin. Es wäre noch schwieriger gewesen mein Abitur zu schaffen. Ich sehe es daran, wenn ich mich mit anderen unterhalte, die im Schulalter erkrankten. Viele haben Probleme einen Schulabschluss zu erhalten. Danach dasselbe mit der Ausbildung. Ich habe es geschafft. Aber vielleicht auch nur, weil ich auf der Carl-Strehl-Schule der Blindenstudienanstalt Marburg war. Eine Regelschule, hätte vielleicht nicht häuftiger mal Rücksicht genommen. Nach meinem Abitur hatte ich die Möglihckeit noch eine Ausbildung zur Fremdsprachenassistentin zu machen. Nach einem halben Jahr ohne Job ging es für mich an die Hochschule Heilbronn. Dort habe ich Tourismusmanagement studiert und erfolgreich abgeschlossen. Nebenbei kam das Leben nie zu kurz. Ich reise gerne, bin viel unter Leuten und damals auch noch in dem Alter wo ich Festivals mit campen total toll fand. Heute bin ich eher derjenige, der sich in der Nähe vom Festivalgelände ein Zimmer bucht. Bin zu alt ;)

Ein besonderer Tag war und ist immer noch der 24. Juli dabei. An dem Tag habe ich jedes mal etwas besonderes gemacht. Entweder mit der Familie chic essen gegangen, mit Freunden Party gemacht oder einmal, 2010, wollte ich auch zur Loveparade. Gott sei Dank hat meine Freundin verschlafen und konnte nicht mehr rechtzeitig aus Hannover anreisen, sodass ich stattdessen an meinem 9. Geburtstag mit der Familie Eis essen ging. Für mein 3. Geburtstag plane ich auch bereits grob. Am 11. Januar, dem Todesdatum meiner Spenderin, werde wohl auch ich eine Kerze in Gedenken an sie anzünden. Mein Vater hat bereits kurz nach der Transplantation in der Kirche den Pastor darum gebeten, sie in die Gebete für die Verstorbenen der Gemeinde mit aufzunehmen, was natürlich gemacht wurde. Am 12. Januar werde ich dann wohl mit den letzten Vorbereitungen für meinen Geburtstag zugange sein. Am 5. Januar werde ich 30 und am 12. Januar wird meine 3. Niere ein Jahr alt. Wenn das mal kein Grund ist zu feiern. Diesen Geburtstag habe ich dann sowohl meiner Mutter als auch der unbekannten Spenderin zu verdanken. Wer weiß, ob ich es ohne die Spende meiner Mutter noch lange geschafft hätte.

Danke Mama, dass du mir mein Leben erneut geschenkt hast. Ich weiß, dass du und Papa es jederzeit wieder tun würdet, wenn es ginge, auch wenn ihr euch auch negative Erfahrungen mit dem Thema Lebendspende angehört habt. Ich habe die beste Familie im Rücken, die ich mir nur wünschen kann. Danke, dass ich mich immer auf euch verlassen kann und ihr immer für mich da seid. Euch muss man einfach lieb haben.